Naturwälder

Urwälder in Österreich? Gibt es das noch? Nur wenige Prozent unserer Wälder sind noch in einem sehr naturnahen Zustand. Diese Wälder wurden kaum oder schon lange nicht mehr genutzt und geben eine Ahnung, wie unsere „echten Wälder“ aussehen. Diese Naturwälder bieten Lebensraum für eine Vielzahl an bedrohten und streng geschützten Arten. Einige der bedeutendsten Naturwaldjuwelen Österreichs (wenn nicht Mitteleuropas) finden sich im mittleren Kamptal und im Kremstal im südlichen Waldviertel …
Doch Fällungen in uralten Waldbeständen nagen an diesem einzigartigen Naturschatz – obwohl die Wälder im Europaschutzgebiet Kamp- und Kremstal liegen. Umweltschützer versuchen nun, diese wertvollen Wälder mit rechtlichen Mitteln zu retten und haben juristische Verfahren gestartet … 

Einzigartiger, urwaldähnlicher Buchen- und Lindenwald im mittleren Kamptal – vor der Fällung (2019).
Der Naturwald mit „Urwaldcharakter“ nach der Abholzung (2023). Scheibchenweise schrumpfen die ökologisch extrem wertvollen Wälder auf Grund von Fällungen – trotz EU-rechtlichem Schutzstatus und ohne die durch die FFH-Richtlinie vorgeschriebenem Naturverträglichkeitsprüfungen. Die Bezirksbehörde schreitet nicht ein, ja rechtfertigt die Abholzungen sogar …

Die meisten unserer  noch verbliebenen ursprünglichen Wälder gibt es in den Alpen – dank ihrer schlechten Erreichbarkeit und ihres geringen materiellen Wertes.
Am bekanntesten ist der Urwald Rothwald (bei Lunz am See) – der größte Urwald in Mitteleuropa. Die Bewahrung dieser allerletzten Ur- und Naturwälder ist auch von enormer Bedeutung für die Wissenschaft: Die natürlichen Veränderungs- und Anpassungsprozesse in unseren Waldökosystemen können nur in jenen Wäldern erforscht werden, die seit ihrer Entstehung nicht oder wenig beeinflusst wurden – bzw. sich über einen langen Zeitraum wieder natürlich entwickeln konnten.

Außerhalb der Alpen finden sich nur mehr  wenige ursprüngliche Waldgebiete. Die bedeutendsten Naturwälder im Norden Österreichs befinden sich im mittleren Kamptal, im Kremstal, im Donautal (v.a. in der Wachau) und im Thayatal. Letzteres steht teilweise als Nationalpark unter  Schutz.

Einige der naturnahen Wälder im Kamp- und im Kremstal haben laut EU-Datenblatt „Urwaldcharakter“.  Deshalb  sind sie seit 1998 Teil des Europaschutzgebietes „Kamp- und Kremstal“. Diese österreichweit bedeutenden Naturwald-Bestände sind aber trotzdem nicht explizit vor Abholzungen geschützt.

Urwalddähnlicher Buchen, -Linden- und Eichenwald im mittleren Kamptal: Wälder dieser Qualität muss man in Europa schon fast mit der Lupe suchen… Das Stift Altenburg bewahrt einige Naturwälder im Kamptal vorbildlich und freiwillig als „ökologische Referenzfläche“. Benachbarte Waldbesitzer sägen aber weiterhin uralte Bäum-Veteranen um.
Zauberwälder und Natura 2000…

Das EU-weite Natura 2000 Schutzprogramm – bestehend aus der Habitat– und der Vogelschutzrichtlinie – will ökologische Ressourcennutzung und Erhaltung von „Schutzgütern“ (wie naturnahen Wäldern und bedrohten Arten) unter einen Hut bringen.

Es verpflichtet die Mitgliedsstaaten dazu, wertvolle Lebensräume und Arten in einem guten Erhaltungszustand zu bewahren bzw. deren guten Erhaltungszustand wiederherzustellen.

Dies bedeutet nicht automatisch, dass diese Schutzgebiete nicht mehr wirtschaftlich genutzt werden dürfen. Die Bewirtschaftung hat aber so zu erfolgen, dass der Erhaltungszustand der dort vorkommenden Schutzgüter (Natur-Lebensräume und Arten) durch die Nutzung nicht erheblich verschlechtert wird. Das kann auch bedeuten, dass  Nutzungen in besonders wertvollen Gebieten mit den EU-Bestimmungen unvereinbar sind.

Besteht ein Risiko, dass Nutzungen zu erheblichen Verschlechterungen für die gelisteten Tiere, Pflanzen oder Lebensräumen führen, muss eine „Naturverträglichkeitsprüfung“ durchgeführt werden. Dabei wird untersucht, ob sich die Nutzungen negativ auf den Erhaltungszustand der geschützten Lebensräume und/oder Arten auswirken oder nicht.

Erhebliche Verschlechterungen können für Lebensräume oder Arten mit einem guten Erhaltungsrad etwa durch Abholzungen wertvoller, totholzreicher Altbestände eintreten. Eine flächenbezogene Untergrenze für eine „erhebliche Verschlechterung“ wird in den EU-Richtlinien nicht genannt. Bei besonders wertvollen Lebensräumen, wie etwa den sehr seltenen Wäldern mit „Urwaldcharakter“, können schon kleinflächige Eingriffe zu ökologisch erheblichen Verschlechterungen führen – wenn etwa Habitate (Altbäume) von „prioritär“ geschützten Arten entnommen und deren Vorkommen dadurch lokal ausgelöscht wird.

Im mittleren Kamptal wurden etliche EU-rechtlich geschützte Arten nachgewiesen, darunter auch („Urwaldanzeiger“-)Arten unter „prioritärem“ EU-Schutz wie Alpenbock-Käfer, Juchtenkäfer oder Scharlachkäfer.
All diese Arten benötigen möglichst großflächig ungestörte Naturwälder mit Altbäumen, Totholz oder natürlichen Öffnungen (nach „Störungen“ wie Windwurf) als strukturreichen Lebensraum. Die wissenschaftliche Literatur dazu ist eindeutig (u.a. EFI, 2021): Es braucht größere Flächen natürlicher / naturnaher Wälder, die sich ungestört durch den Menschen entwickeln können. Ansonsten sind die ökologische Integrität bzw. Konnektivität nicht gewährleistet.

Die räumliche und zeitliche Kontinuität einer ökologischen Entwicklung kann nur durch ausreichend große Schutzgebiete mit einer sich wiederholenden Matrix gewährleistet werden kann. Und: Wenn das Kronendach der Wälder zwischen geschützten (Natur-)Waldgebieten durch intensive Nutzung wie flächige Fällungen durchlöchert und degradiert wird, können vermehrt Hitze, Trockenheit und anderen Stressfaktoren auf die Wälder einwirken.

Die Erhaltung einzelner Habitatbäume inmitten intensiv genutzter und gefällter Flächen – wie derzeit zwischen Waldbesitzern und Behörden in NÖ diskutiert – reicht nicht aus, um wertvollen die Bestände dieser geschützten Arten zu sichern. 

Osmoderma eremita oder Juchtenkäfer im mittleren Kamptal. Die sehr seltene Art lebt in Mulmhöhlen sehr alter Bäume und ist laut FFH-Richtlinie „prioritär“ geschützt. Abholzungen in totholzreichen Altbeständen, in denen der Käfer vorkommt, sind daher mit EU-Recht nicht vereinbar.

Der österreichische Verwaltungsgerichtshof hat in einem Urteil vom 20.12.2019 festgestellt, dass EU-Recht grundsätzlich vorrangig umzusetzen ist (auch vor dem dem österreichischen Forstgesetz), dass auch bei forstlichen Nutzungen Naturverträglichkeitsprüfungen durchzuführen sind und dass anerkannten Umweltorganisationen (laut Aarhus-Konvention) auch in forestrechtlichen Verfahren eine Parteienstellung zu gewähren ist. Die Forst-Praxis in Niederösterreich entspricht diesem Höchstgerichtsurteil derzeit nicht.

Ein wichtiges Instrument, um Klarheit über Nutzungen und notwendige Schutzmaßnahmen zu schaffen, sind Managementpläne. Darin sollten die geschützten Arten und Lebensräume in ihren Ansprüchen beschrieben und im Schutzgebiet verortet werden. Maßnahmen zu ihrem Erhalt bzw. zur Verbesserung ihrer Vorkommen sind ebenso vorgesehen. Mithilfe von Managementplänen können Grundeigentümer besser erkennen, ob Nutzungen mit den Schutzzielen vereinbar sind oder nicht. Das trägt auch zur Vermeidung von Konflikten bei.

Soweit die Theorie. Für das Natura 2000-Gebiet „Kamp- und Kremstal“ (wie auch für die meisten anderen dieser Europaschutzgebiete in NÖ) gibt es keinen detaillierten Managementplan , der Schutzgüter genau beschreibt und verortet sowie Nutzungen und deren Einschränkungen klar regelt – obwohl diese EU-Schutzgebiete seit 1998 existieren.

Die Zielformulierungen in den Europaschutzgebiets-Verordnungen in Niederösterreich zur Habitat-Richtlinie sowie zur Vogelschutzrichtlinie sind sehr schwammig – etwa (FFH-Verordnung): “ Im Speziellen sind dies die Erhaltung von einem ausreichenden Ausmaß an: … naturnahen, strukturreichen Waldbeständen mit ausreichendem Alt- und Totholzanteil, alten, totholzreichen Eichenbeständen, Altbäumen (Laubbäume, insbesondere Buchen, aber auch Eichen und Eschen) mit großen Stammstärken und hohlen bzw. faulen Wurzelpartien als essentielles Teilhabitat der Käferart Veilchenblauer Wurzelhalsschnellkäfer …“.

Oder (Vogelschutzrichtlinie): „… die Erhaltung von einem ausreichenden Ausmaß an: großflächigen und naturnahen Wäldern mit hohem Laubwaldanteil, …  großflächigen, standortheimischen Waldbeständen (sowohl in Au-, Hang- als auch Plateauwäldern) mit naturnaher bzw. natürlicher Alterszusammensetzung und einem charakteristischen Strukturreichtum sowie Totholzanteil, möglichst störungsfreien Sonderstrukturen im Wald wie Gewässerränder, Feuchtbiotope, Felsformationen, Blockhalden, Grabeneinschnitte, …).

Was ein „ausreichendes Ausmaß“ genau bedeutet, wird jedoch nicht definiert. Daher ist diese Zielbestimmung schlecht umsetzbar und kaum überprüfbar. Das führt zu Unklarheiten und Befürchtungen bei vielen Grundbesitzern, von denen viele „Natura 2000“ als Eingriff in ihr Eigentum vehement ablehnen. EU-Naturschutz ist bedauerlicherweise zum polarisierenden Reizthema geworden.

Besonders groß sind die Unsicherheiten im Forstsektor.
Mangels detaillierter Kartierungen der Wald-Lebensräume in einem guten Erhaltungszustandund (laut Anhang I der Habitat-Richtlinie) und der Vorkommen geschützter Arten (Anhang II und IV der Habitat-Richtlinie) ist die Umsetzung der Schutzziele von Natura 2000 derzeit de facto kaum möglich.

Im Zusammenhang mit forstlichen Nutzungen wurde im Bereich des Natura 2000 Gebietes Kamp- und Kremstal seit 1998 bis heute keine einzige Naturverträglichkeitsprüfung durchgeführt …

Wälder mit „Urwaldcharakter“ im mittleren Kamptal

Im mittleren Kamp- und Kremstal wachsen noch veritable Zauberwälder: alte Eichen-, Buchen- und Linden-Ahorn-Schluchtwälder, die alle ein wenig aussehen wie in einem Fantasyfilm. Laut dem offiziellen Natura 2000 Datenblatt weisen sie teilweise sogar „Urwaldcharakter“ auf – eine absolute Rarität in Österreich.

Manche der ehrwürdigen Buchen-, Eichen-, Ahorn- oder Tannen-Individuen sind mehrere Jahrhunderte alt. Diese Wälder sind ungleichaltrig aufgebaut und bestehen aus unterschiedlichen, an die jeweiligen Standorte angepasste Baumarten. Im Kamp- und im Kremstal tal leben viele seltene Totholzkäfer, Fledermäuse, Käuze oder Spechte. Auch Seeadler und Schwarzstörche sind hier zu Hause.

Urwaldartiger Eichenwald: in Österreich nahezu ausgestorben…
Urwald-Anmutung in einem Naturwaldreservat flussabwärts von Wegscheid
Naturwälder und Klimakrise

In Naturwäldern sorgt liegendes und stehendes Totholz für eine außergewöhnliche große Artenvielfalt. Diese Waldgesellschaften wachsen hier bereits seit vielen Jahrhunderten und sind daher an die Standortbedingungen bestens angepaßt. Aus diesem Grund überstehen sie die Auswirkungen der Klimakrise viel besser als naturferne Wirtschaftswälder.

Ein Grund dafür sind komplexe Wurzel-Pilz-Netzwerke im Waldboden. In natürlichen Wäldern bilden die Baumwurzeln mit Pilzen nämlich ein gigantisches Netz, das sogenannte „Wood Wide Web“. Die Wurzel-Pilz-Verbindungen nennt man „Mykorrhiza“.
Hier geht es zu einem Vortrag von Prof. Suzanne Simard, die die unbekannte Welt des „Wood Wide Web“ seit vielen Jahren erforscht (University of British Columbia).

Pilze ermöglichen eine viel bessere Feinerschliessung des Bodens und können daher den Bäumen Nährstoffe und Wasser liefern. Außerdem erledigen sie den Austausch von Informationen und Nährstoffen zwischen den Bäumen. Mit Hilfe von Pilzen können Bäume wie Tannen oder Buchen ihre im Schatten wachsenden Nachkommen besser mit Nährstoffen versorgen. Im Gegenzug bekommen die Mykorrhiza-Pilze von den Bäumen Zucker (Pilze können ja keine Photosysthese durchführen). Suzanne Simard hat experimentell herausgefunden, dass sich sogar unterschiedliche Baumarten gegenseitig unterstützen.

Natürliche Wälder können also gewissermaßen auch als riesige Marktplätze gesehen werden. Sie weisen eine sehr hohe ökologische Beständigkeit bzw. Anpassungsfähigkeit auf. Kahlschläge oder Staunässe (etwa nach Einsatz schwerer Forstmaschinen) können die Mykorrhiza aber zerstören. Ohne die Pilzhelfer im Boden sind nachwachsende Wälder geschwächt – ein großer Nachteil in Zeiten der Klimakrise.

Hitze, Trockenheit, Borkenkäfer, Stürme und Waldbrände bedrohen besonders die naturfernen Wirtschaftswälder – wie etwa monotone Nadelholz-Aufforstungen.
Europa könnte in den nächsten Jahrzehnten durch die Klimakrise einen beträchtlichen Teil seiner Waldbedeckung verlieren.
In Teilen Österreichs und Deutschlands gibt es bereits viele 1000 Hektar an Kahlflächen nach Räumung aller abgestorbener Bäume, die sich an heißen Tagen extrem aufheizen, wodurch Jungbäume oft verdorren.
Die Bewahrung der noch vorhandenen naturnahen, wesentlich widerstandsfähigeren Waldbestände – wie im Kamp- und Kremstal – ist daher auch deswegen ein Gebot der Stunde. Besonders wichtig ist es, das schattige kühl-feuchtere Waldinnenklima zu erhalten.

Intakter Naturwald im Kamptal (rechts, Stift Altenburg) im Gegensatz zum von Hitze, Dürre und Borkenkäferattacken gezeichneten Nadelholzforst (links hinten).
Vorbildlicher Natura 2000 – Waldmanagementplan der  Österreichischen Bundesforste im Kremstal

Im Raum Senftenberg haben die Österreichischen Bundesforste (ÖBF) ihre Waldbestände hinsichtlich wertvoller Naturwaldbestände und seltener Arten untersucht und einen „Waldmanagementplan“ entwickelt.  Die Ergebnisse der Biotop-Kartierung haben selbst Fachleute überrascht: Es fanden sich etliche extrem seltene und streng geschützte „Urwaldanzeiger-Arten“ wie Bechstein-Fledermaus, „Veilchenblauer Wurzelhalsschnellkäfer“ oder Eremit (auch Juchtenkäfer genannt).

Das Kremstal „stellt damit eine der artenreichsten Regionen Österreichs dar, kein anderes Europaschutzgebiet beherbergt mehr dieser seltenen und teils hochgradig gefährdeten Fledermaus- und Käferarten. In den oft mehrere hundert Jahre alten Eichen- und Buchenwäldern, zahlreiche davon auf ÖBF-Flächen, finden die Tiere ideale Lebensraum- und Rückzugsbedingungen vor. Sie leben bevorzugt in Urwald-artigen Wäldern, alten Bäumen und großen Baumhöhlen, die sie oft ihr Leben lang nicht verlassen,“ erklären die Bundesforste. Die wertvollsten, sehr naturnahen Waldflächen im Natura 2000 Gebiet im Kremstal werden von den ÖBF daher freiwillig nicht genutzt. Die Bewirtschaftung auf den restlichen, bewirtschafteten Flächen nimmt auf die geschützten Arten Rücksicht, etwa indem ausreichend alte „Biotopbäume“ oder Totholz im Wald belassen werden. Damit werden die (gesetzlichen) Natura 2000 Ziele vorbildhaft umgesetzt.

Extrem artenreicher, urwaldähnlicher Eichen-Mischwald im Kremstal: Die Österreichischen Bundesforste erhalten diese Ausnahmewälder im Rahmen eines Natura 2000-gerechten Waldmanagementplans.
Naturwälder im Kamptal: ungewisse Zukunft…

Für die Naturwälder im benachbarten Kamptal liegen sind teilweise potenziell noch ursprünglicher – und größer. Daher besteht der dringende Verdacht, dass diese streng geschützten Arten im Kamptal ebenfalls in großer Zahl beheimatet sind. Auf Grund der Abgeschiedenheit des Kamtals und der großen, sehr naturnahen Flächen, ist eine mindestens ebenso große Artenausstattung zu erwarten.
Erste Erhebungen (Coop Natura in Kooperation mit Stift Altenburg sowie Ökoteam Graz) unterstreichen das: Es wurden bereits um die 20 „Urwald-„Fledermausarten gefunden, darunter Bechsteinfledermaus und Nymphenfledermaus (Stand 2023).

Studienautor Martin Pollheimer betont: „Die Eichenwälder an den Einhängen des Kamp und der Krems sind von herausragender Bedeutung für anspruchsvolle (Ur)Waldfledermäuse: Manche Bestände werden seit mehreren hundert Jahren nicht oder nur äußerst extensiv forstlich bewirtschaftet und bieten mit ihrem reichen Höhlen- und Spaltenangebot neben der seltenen Bechsteinfledermaus auch der Mops- sowie der Nymphenfledermaus Lebensraum.“ Auch deshalb wäre „die Umsetzung eines naturschutzfachlich nachhaltigen Waldbewirtschaftungsplans im Kamptal dringend wünschenswert.“

Die Hangwälder im Kamp- und Kremstal geben einen Eindruck davon, wie große Teile des Waldviertels wohl ausgesehen haben, bevor die Wälder gerodet und durch Felder, Wiesen bzw. Nadelholz-Aufforstungen ersetzt wurden…

„Schlucht-Hangwald“: Dieser sehr seltene Waldtyp mit Linden, Ahorn und Ulmen ist laut EU-Recht als „prioritär“ eingestuft und steht daher unter besonderem Schutz (Lebensraumtyp mit der Kurzbezeichnung 9180).
Kartierung der Naturwälder ist überfällig – Fällungen nagen am „Urwald“

Wo sich diese besonders wertvollen Wälder befinden, ist aber derzeit nicht genau bekannt. Welche Tiere und Pflanzen und in welchen Populationsgrößen dort Lebensraum und Heimat finden, lässt sich nur erahnen. Es wurde nämlich noch keine ausreichend detaillierte Kartierung erstellt. Ein vager „Managementplan“ verweist darauf, dass mit den Grundbesitzern Lösungen in Form von „Vertragsnaturschutzmaßnahmen“ auszuarbeiten seien. Doch das ist bisher nur zu einem sehr geringen Teil geschehen. Mögliche forstliche Einschläge sind daher eine beständig drohende  Gefahr für diese sehr wertvollen Wälder.

2015 wurde ein sehr alter Buchen- und Lindenmischwald im mittleren Kamptal abgeholzt: auf einer Fläche von zwei Hektar wurden alle größeren Bäume „geräumt“, darunter jahrhundertealte Methusalem-Bäume. 2021 und 2022 kam es zu weiteren Abholzungen in totholzreichen, alten Wäldern mit „Urwaldcharakter“.

Kahlhieb in einem sehr naturnahen Linden-Ahorn bzw. Buchenwald

Es braucht daher dringend genauere Kartierungen der geschützten Arten und Lebensräume mit einem guten Erhaltungsgrad, um wertvolle Habitate und Vorkommen geschützter Arten zu sichern und Verschlechterungen zu vermeiden.

Und: ohne tragfähige (finanzielle) Vereinbarungen mit betroffenen Grundbesitzern ist die Einhaltung eines „guten Erhaltungszustandes“ der ökologisch wertvollsten Flächen nicht möglich.

Das alles gilt natürlich nicht nur im Kamptal.

Da diese Lösungen aber nach wie vor auf sich warten lassen, sind Konflikte zu befürchten. Wenn keine Naturverträglichkeitsprüfungen durchgeführt werden, so entsteht ein rechtlich unklarer Zustand.

Rechtsstreit wegen Nicht-Umsetzung von EU-Recht 

Die Europäischen Kommission hat im September 2022 ein Mahnschreiben an die Republik Österreich übermittelt. Darin werden schwere Mängel bei der Umsetzung von EU-Naturschutzgesetzen beanstandet – wie schwammige, nicht überprüfbare Schutzziele und vage Managementpläne ohne gebietsspezifische Maßnahmen zur Erhaltung der Schutzgüter. Die gilt auch für das Kamptal.
Österreich muss diese Defizite beheben.

Global 2000 und Ökobüro haben im November 2022 eine juristische Initiative gestartet und Anträge auf Feststellung der Durchführungsverpflichtung einer Naturverträglichkeitsprüfung im Zusammenhang mit den Abholzungen im mittleren Kamptal sowie auf Setzung von Sofortmaßnahmen zur Rettung der Naturwälder vor weiteren Fällungen.

Urwaldartiger Linden- und Buchenmischwald im mittleren Kamptal.
EUGH-Urteile legen klar: Ohne Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung von Forstbewirtschaftungsplänen bzw. Fällungs-Vorhaben sind forstliche Nutzungen in Natura 2000 Gebiete rechtswidrig

Naturschutzverbände bemängeln, dass die Natura 2000-Richtlinien im Forstbereich generell bisher kaum umgesetzt wurden. Für den Großteil von Niederösterreich liegen keine detaillierten Kartierungen der Naturwaldbestände vor und forstliche Einschlagspläne bzw. Forsteinrichtungen wurden bislang keinen Natura 2000-Verträglichkeitsprüfungen unterzogen (abgesehen von einem Verfahren in den Stockerauer Donauauen, das die Landesumweltanwaltschaft eingeleitet hat).

Dass die mangelhafte Umsetzung ins Auge gehen kann, zeigt das Beispiel Bialowieza-Natura 2000 Gebiet in Polen. Nach einer NGO-Beschwerde über die Abholzungen in totholzreichen Altbeständen bei der EU-Kommission wurde im Zuge eines EU-Vertragsverletzungsverfahrens der EUGH eingeschaltet. Der verdonnerte die polnische Regierung dann mit seinem Urteil vom 17.April 2018 zu einem Abholzungs-Stop (andernfalls drohten 100.000 Euro Strafe / Tag). Die Forstmaschinen zogen ab. Die Begründung des EUGH (Kurzfassung): Es wurde keine hinreichende Naturverträglichkeitsprüfung vor Beginn der Einschläge durchgeführt und die Abholzungen von totholzreichen Beständen (Bäume älter als 100 Jahre) zerstören die Habitate bedrohter Arten. Die forstlichen Eingriffe seien daher mit der Habitat- und der Vogelschutz-Richtlinie nicht vereinbar.

Ein Rechtsgutachten aus Deutschland kommt u.a. nach Sichtung der relevanten EuGH-Urteile zu dem Schluss: Ohne Durchführung einer ordnungsgemäßen FFH (Natura 2000)-Verträglichkeitskeitsprüfung (der Forsteinrichtung bzw. Forstwirtschaftspläne) sind in einem FFH (Natura 2000)-Gebiet  keine Einschläge durchzuführen. Dies gilt insbesondere für Altbestände (im konkreten Fall: Buchenwälder) und für die Entfernung von Schad- und Totoholz.

Auch in Rumänien schwinden Natur- und Urwälder in Natura 2000 Gebieten. Nach einer Beschwerde NGO’s EuroNatur, Client Earth und Agent Green hat die EU-Kommission im Februar 2020 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den rumänischen Staat wegen der  weit verbreiteten (illegalen) Einschläge in Natura 2000-geschützen Wäldern eingeleitet. Im Juli 2020 hat die EU-Kommission den Gang zum EU-Höchstgericht angedroht, sollte Rumänien nicht rasch Maßnahmen setzen, um die durch EU-Recht geschützten naturnahen Wälder zu erhalten. Der Ausgang des Verfahren ist (Stand Mai 2023) noch immer offen.

Was heisst das Bialowieza-Urteil für das Kamptal?

Die Behörden in NÖ wissen von der Existenz der Wälder mit „Urwaldcharakter“ im Kamp- und Kremstal. Schließlich wurde das Natura2000-Gebiet ja vor allem deswegen eingerichtet.

Sie wissen auch über die sehr wahrscheinliche Präsenz von etlichen streng geschützten Arten (wie etwa totholzbewohnende Käfer, Fledermäuse und Vögel) in dem Natura 2000 Gebiet. Für das Kremstal liegen teilweise sehr detaillierte Untersuchungen vor (ÖBF), für das mittlere Kamptal aber nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass das mittlere Kamptal einen ähnlich hohen Grad an Naturnähe bzw. Artenreichtum aufweist, ist sehr hoch.

Nach dem Bialowieza-Urteil ist klar: Fällungen in wertvollen totholzreichen Altbeständen („Urwaldcharakter“, Vorkommen von geschützten Arten) in EU-Natura 2000-Gebieten sind auf jeden Fall prüfpflichtig und wohl kaum genehmigungsfähig. Auch wenn es sich um Einschlagsflächen kleiner als 0,5 ha handelt (Schwellenwert für Meldepflicht nach österreichischem Forstrecht).

Die Duldung jedes weiteren (nicht durch fachlich geeignete Sachverständige vorab geprüften) Eingriffs in naturnahen Waldbeständen im Natura 2000 Gebiet Kamp- und Kremstal bedeuten für die zuständigen Behörden somit ein sehr hohes  Risiko einer Verletzung von EU-Recht.

Hochrangige Vertreter der EU-Kommission haben außerdem im Zuge der Entwicklung des „Green Deals“ mehrfach betont, dass Natura 2000 auch im Forstsektor besser durchzusetzen ist, um den Schutz naturnaher Wälder zu forcieren. Immerhin will die EU-Biodiversitätsstrategie 2030 ja alle Ur- und Naturwälder in der EU identifizieren, kartieren und strikt schützen.

Diese Natura-Richtlinien der EU basieren auf dem Vorsorgeprinzip und dem Prinzip der Risikovermeidung. Daher müssen geplante Nutzungen auf ihre potentiellen Auswirkungen auf die Schutzgüter geprüft werden, um das Risiko einer erheblichen Verschlechterung auszuschliessen. Abholzungen in sehr naturnahen Wäldern mit „Urwaldcharakter“ – die in der EU bereits extrem rar sind – führen zwangsläufig zu erheblichen Verschlechterungen für ökologisch sehr wertvolle Wald-Lebensraumtypen und Arten.

Um den gesetzlichen EU-Vorgaben gerecht zu, sind folgende Maßnahmen seitens der Behörden überfällig:
– Flächenscharfe Kartierungen der natürlichen Lebensräume mit einem guten Erhaltungsgrad (= Naturwälder, totholzreiche Altbestände).
– Erstellung eines Natura2000-gemäßen Managementplans, der auch die forstliche Nutzung klar regelt.
Dafür braucht es auch Vereinbarungen mit den Grundbesitzern über die Erhaltung der wertvollsten Habitate inkl. fairer Abgeltungen für den Nutzungsentgang.
– Naturverträglichkeitsprüfungen – im Rahmen der Erstellung der Waldmanagementpläne bzw. im Fall lokaler Einschlagspläne (etwa von Kleinwaldbesitzern).

Bewahren wir unsere letzten Zauberwälder!

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Naturschützerinnen und Naturschützer sind sehr besorgt über die Zukunft der ökologisch extrem hochwertigen Naturwälder im Kamptal. Um den gesetzlichen Verpflichtungen durch Natura 2000 gerecht zu werden, müssten die Schutzgüter (Lebensräume und Arten) von geeigneten Fachleuten / Sachverständigen genau (also: flächenscharf) kartiert werden .

Und es müssen rasch Lösungen zur Erhaltung der wertvollsten Lebensräume in Zusammenarbeit mit den Grundbesitzern – etwa in Form von Vertragsnaturschutzmaßnahmen mit fairer finanzieller Abgeltung der Waldbesitzenden für den Nutzungsentgang erarbeitet werden.

Am Ende braucht es klare Managementpläne mit rechtlichen verbindlichen, genau definierten und verorteten Erhaltungsmaßnahmen für die Schutzgüter im Kamptal.

Die EU Biodiversitätsstrategie 2030 hat sich zum Ziel gesetzt, alle Natur- und Urwälder der EU bzw. 10% der Ökosysteme strikt zu schützen. Die EU Biodiversitätsstrategie 2030 wurde im Rahmen des EU Green Deal  von allen EU Mitgliedsstaaten im Herbst 2020 einstimmig angenommen – somit gelten diese Ziele auch für Österreich.

Derzeit werden aber nur etwa 0,8% der heimischen Wälder streng geschützt (keine Eingriffe). Laut WWF Waldbericht gelten aber etwa 3% der Wälder als sehr naturnah – das entspricht 120.000 ha Wald in Österreich.

Das ist also viel „Luft nach oben“ …
Österreich muss seine ökologischen Hausaufgaben nun rasch erledigen.

Totes Holz für neues Leben: Mehr als 70% der Waldbewohner gibt es nur in Naturwäldern mit alten Bäumen und Totholz.

 

Zauberhaftes Kamptal: Die Förderung des sanften Naturtourismus könnte zur Regionalentwicklung beitragen – wenn die Landschaft unversehrt bleibt.